Linzer "Mutter Courage" als kraftvoller Schrei nach Frieden

Nachdem Susanne Lietzow dem Linzer Theaterpublikum im Vorjahr mit ihrer „Pension Schöller“ etwas Lustiges und leicht Verdauliches serviert hatte, setzt sie ihm in dieser Saison schwerere Kost vor: Mit „Mutter Courage und ihre Kinder“ von Bertolt Brecht bringt sie ein Stück auf die Bühne des Schauspielhauses, das treffender nicht in die Zeit passen könnte. Es ist ein emotionaler, kraftvoller Schrei nach Frieden geworden. Viel Applaus bei der Premiere am Freitag.

Da haben sich die Polen „anstatt sich einnehmen zu lassen eingemischt in ihre eigenen Angelegenheiten“, Krieg geht oft einher mit Täter-Opfer-Umkehr. Lietzow hat Brechts Geschichte der Marketenderin Anna Fierling, genannt Mutter Courage, die im Krieg ihre drei Kinder beschützen will und sie dennoch verliert, weil sie nur das Geschäft im Kopf hat, aus dem Dreißigjährigen Krieg in die Jetztzeit in einen nicht näher definierten bewaffneten Konflikt in Europa versetzt. Es wäre auch nicht nötig gewesen, die Worte „Ukraine“ oder „Russland“ in den Text einzubauen. Denn Kriegsgewinnler wie die Mutter Courage gehören nicht zu einer Seite, sie beliefern jeden, Hauptsache er zahlt – Courage nennt das „neutral“ – und da kann man schon mal unterschiedliche Fahnen in den Wind hängen oder einfach verleugnen, dass man seinen soeben vom Feind exekutierten Sohn kennt.

Lietzows Courage (Katharina Hofmann) ist nicht zerlumpt und zieht keinen Wagen hinter sich her, sie trägt Kostüm und Seidenbluse, hat das Auftreten einer toughen Businesslady. Ihre Zentrale ist ein Bunker, überkopf schwebt ein Schiffscontainer. Sie verhandelt hart und vor allem lässt sie sich „den Krieg nicht madig machen“, nicht einmal, nachdem er ihr alle Kinder genommen hat. Er ist schließlich der Quell ihres Wohlstands. Katharina Hoffmann überzeugt mit Power und Stimme. Das Ensemble rund um sie nimmt Brechts exaktes Psychogramm der Kreaturen, die der Krieg hervorbringt, volley auf.

Die Figur der stummen Kattrin (Nataya Sam) hat Lietzow um einen tauben Zirkusartisten (der Wrestler Ricky Sky mit viel Körpereinsatz) ergänzt. Fejos, Kattrins nicht allzu vifer Bruder (Jakob Kajetan Hofbauer), versucht seiner Mutter nicht nachzustehen in Sachen Business und klaut die Regimentskasse. Der andere Sohn, Eilif (Benedikt Steiner), ist ein Kriegsheld, weil er Bauern ausgeraubt hat. Dass er dieses Verhalten nach dem Krieg nicht abstellt, bringt ihn vors Standgericht.

Die Prostituierte Yvette, deren Beitrag zum Frieden es ist, 500 Soldaten mit einer Geschlechtskrankheit angesteckt und „kriegsuntauglich gefickt“ zu haben, wird gespielt von Theresa Palfi, die den Schmerz über ihre verlorene Unschuld rausbrüllt, dass es niemanden kalt lässt, und am Ende reich verwitwet, gebotoxt und silikoniert als schräges Donatella-Versace-Lookalike reüssiert. Christian Higer als Feldprediger ist ein opportunistischer und im Herzen feiger Pfaffe, der mit salbungsvollen Worten junge Menschen im Namen Gottes aufs Schlachtfeld schickt und sich selbst verdrückt, sobald es eng wird.

Gilbert Handler, der gemeinsam mit Cynthia Marton und Rainer Gutternigg auf der Bühne musiziert und auch selbst singt, hat der Musik seinen unverkennbaren Stempel aufgedrückt. Sie ist kraftvoll, emotional und facettenreich, martialische Kriegsklänge, einmal mit Rammstein-Färbung, dann wieder lieblich, wo nötig dezent, mit Raum für die Texte, einer der wichtigsten Pfeiler des Stücks. Man verlässt nach drei Stunden, in denen man nie einen Blick auf die Uhr gemacht hat, den Theatersaal nachdenklicher als man gekommen ist. Das Stück hat sich für den diesjährigen Spielplan geradezu aufgedrängt und ist perfekt umgesetzt worden, Lietzow und Handler ist es gelungen, Herz und Hirn anzusprechen. Den langen Schlussapplaus haben Leadingteam und Ensemble redlich verdient.

(S E R V I C E – „Mutter Courage und ihre Kinder“ von Bertolt Brecht mit Musik von Paul Dessau am Landestheater Linz, Schauspielhaus, Promenade 39, 4020 Linz. Regie: Susanne Lietzow, Bühne: Aurel Lenfert, Kostüme: Jasna Bosnjak, Musik und musikalische Leitung: Gilbert Handler. Mit u.a. Katharina Hofmann – Mutter Courage, Nataya Sam – Kattrin, Benedikt Steiner – Eilif, Jakob Kajetan Hofbauer – Fejos, Julian Sigl – Werber, Jan Nikolaus Cerha – Feldwebel, Sebastian Hufschmidt – Koch, Christian Higer – Feldprediger, Horst Heiss – Feldhauptmann, Theresa Palfi – Yvette Pottier, Ricky Sky – Rocky. Nächste Vorstellungstermine am 29. September sowie am 2., 12., 19. und 27. Oktober 2023, )

(APA)

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