"Noch wach?" – Stuckrad-Barres Roman als Theaterstück

Hamburg – Tanzt da Benjamin von Stuckrad-Barre auf der Theaterbühne? Das vorgereckte Kinn, die Körperspannung, die ruckartigen Gesten – es sieht täuschend echt aus. Wir sind wieder da, wo wir im Frühjahr schon einmal waren. Mit der Uraufführung des gleichnamigen Theaterstückes ist in Hamburg Stuckrad-Barres Roman „Noch wach?“, der sich um Machtmissbrauch, #MeToo und den Bruch einer Männerfreundschaft dreht, mit einem Schlag zurück.

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Vorneweg: Man kann sicher behaupten, dass der Roman gut auf der Bühne funktioniert. Vielleicht sogar noch besser, allein durch die Verkörperung des dichten, komplexen Textes. Einiges ist dadurch entzerrter, und manche Figur wirkt zugleich in bestimmten Momenten noch befremdlicher, als sie ohnehin angelegt ist.

Das Publikum feierte die Uraufführung am Thalia Theater mit stürmischen Applaus. Am Ende holte der Regisseur Christopher Rüping den Autor Benjamin von Stuckrad-Barre persönlich auf die Bühne. Lässig in weißem Hemd, blauer Hose und weißen Turnschuhen bedankte er sich beim Regieteam, dem Schauspielteam und den Zuschauern im Saal.

Das Setting auf der Bühne: Die Welt eines TV-Senders wird als Dracula-Szenerie gezeigt – mit Särgen und einem Vampir-Turm, an dem große Schlagzeilen zu sehen sind. Schwarz, Grau, Glitzer-Silber. Das sind die Farben, mit denen die Geschichte um einen Chefredakteur, der sich mit mehreren Mitarbeiterinnen einlässt, gezeigt wird. Dahinter der als sehr groß gewachsen dargestellte Senderchef, der der Freund des Ich-Erzählers ist. Dem Erzähler vertrauen sich die Mitarbeiterinnen nach und nach an.

Aufsehen in der Medienszene

Kaum ein anderes Buch hatte im Frühjahr ein solches Aufsehen in der Medienszene ausgelöst. Das Werk war vor der Veröffentlichung als Schlüsselroman um das Berliner Medienhaus Axel Springer samt Skandal an der Spitze von Deutschlands größter Boulevard-Marke „Bild“ gehandelt worden. Chefredakteur Julian Reichelt hatte im Herbst 2021 Springer verlassen müssen. Hintergrund waren Vorwürfe des Machtmissbrauchs in Verbindung mit einvernehmlichen Beziehungen zu Mitarbeiterinnen gewesen. Der Journalist selbst hatte von einer „Schmutzkampagne“ gesprochen und Vorwürfe immer wieder zurückgewiesen.

Trotz Fiktion geht es jetzt vielen Theaterzuschauern sicherlich so, wie es möglicherweise beim Lesen des Romans war: das unterschwellige Suchen nach realen Bezügen – wie ein permanent mitschwingendes Brummen im Kopf. Übergeordnet steht hinter dem Ganzen auch die Frage nach Kunstfreiheit.

Dass Stuckrad-Barres Roman als Schlüsselwerk gehandelt worden war, kommt nicht von ungefähr: Jahrelang arbeitete er selbst für den Konzern. Er verstand sich mit Springer-Chef Mathias Döpfner. Stuckrad-Barres Name tauchte im Kontext der Reichelt-Affäre auf. Eine umstrittene private Kurznachricht Döpfners an den Schriftsteller, in der er „Bild“-Chef Reichelt lobte, fand den Weg in die „New York Times“. Konzernchef Döpfner geriet in der Affäre auch unter Druck.

Vom echten Leben inspiriert

Autor Stuckrad-Barre entschied sich beim Schreiben für die Fiktion. Stoff also, der vom echten Leben inspiriert sein kann, aber davon losgelöst ist. Im Roman „Noch wach?“ wird zu Beginn betont, dass das Ganze zwar „in Teilen inspiriert von verschiedenen realen Ereignissen“ sei. Das Buch sei „jedoch eine hiervon losgelöste und unabhängige fiktionale Geschichte“. Der Autor habe „ein völlig eigenständiges neues Werk geschaffen“.

Kurz vor der Theaterpremiere äußerte sich der 48-Jährige, der mit Werken wie „Soloalbum“ und „Panikherz“ zum Kreis der bekanntesten zeitgenössischen Schriftsteller zählt, im Podcast „Hotel Matze“ in einem rund vierstündigen Gespräch mit Moderator Matze Hielscher erneut. Unter anderem sagte Stuckrad-Barre über das Buch, er sei froh, dass er das geschafft habe. Weil es schwierig gewesen sei bis hin zu juristischen Überlegungen, die über Monate gingen – einzelne Wörter betreffend. Und: „Es werden Risikoabwägungen gemacht.“

Das Thalia Theater zeigt das Stück von Regisseur Christopher Rüping, der schon „Panikherz“ auf die Bühne brachte. Auf die Frage, ob er zuvor Anwälte eingeschaltet habe, sagte der Regisseur der Deutschen Presse-Agentur: „Wir haben das nicht von Anwälten prüfen lassen. Wir gehen davon aus, dass es Kunstfreiheit nach wie vor gibt. Wir machen zudem nicht ein verwandtes Projekt zu dem Roman, sondern das ist eine Adaption mit einer eigenen Lesart.“

Der Sound von Regen

Weiter sagte er im dpa-Gespräch: „Es gibt einzelne Momente, in denen die Bühne konkreter wird als der Roman. Menschen stehen da und können einen mehr oder weniger an reale Figuren erinnern. Beim Roman ist das erstmal nur Text.“

Rüping führte zudem über den Stoff des Romans und des Theaterstücks aus: „Mich interessiert das Systemische daran. Letzten Endes kann man das Ganze auch als Gleichnis lesen zum Beispiel auf einen nicht funktionierenden Staatstheater-Betrieb, eine Sparkasse, einen Friseur-Salon oder eine Krankenkasse.“

Will man einen Sound für „Noch wach?“ beschreiben, dann kann es dieser sein: Regen. Es regnet permanent auf der Bühne. Es ist ein bedrückender Regenvorhang, der immer wieder von der Decke niedergeht. Frauen, die im Regen stehen.

Die vielleicht beste Szene: der Kampf zwischen dem Ich-Erzähler und dem Senderchef, der sich zwischen Abscheu und Liebe bewegt. Die Männerfreundschaft zerbricht nach und nach. Rüping lässt den großen Firmenchef und den Ich-Erzähler auf der Bühne gemeinsam tanzen. © dpa

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