Das Attentat auf Kaiserin Sisi vor 125 Jahren
Wien – In den Tagen vor dem Attentat machte die Kaiserin hoch über dem Genfer See ihre berüchtigten stundenlangen Gewaltmärsche. Später gönnte sie sich einen Besuch beim befreundeten Bankier Rothschild und kaufte in Genf einen Musikautomaten. Dann geschah die Tragödie.
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Der Anarchist Luigi Lucheni stürzte sich am Ufer des Sees auf die 60-Jährige und rammte ihr eine Feile in die Brust. Eine Stunde später wurde
Sisi ereilte der gewaltsame Tod in einem ihren Lieblingsländer. Neunmal habe die Kaiserin in der Schweiz teils wochen- oder monatelang Zuflucht gesucht, sagt Orsouw. Die naturliebende Gesundheitsfanatikerin habe in der Eidgenossenschaft oft die ersehnte Ruhe oder Trost gefunden. Der frühe Tod der ersten Tochter, der Suizid ihres Sohnes Rudolf – Sisis Leben war überschattet von schweren Schicksalsschlägen. Da sie sich am Tod der Tochter Sophie im Alter von erst zwei Jahren eine Mitschuld gegeben habe, habe sie die Nonnen eines Schweizer Klosters 1859 überzeugt, sie in ihrer „Ewigen Anbetung“ zu berücksichtigen, sagt Orsouw. Dieser Schritt wurde zum Ausgangspunkt vieler weiterer Besuche der reisefreudigen Monarchin.
Die Kaiserin reiste ohne Polizeischutz
Dass sie sich eines der für Prominente gefährlichsten Länder Europas ausgesucht hatte, war ihr laut Orsouw durchaus bewusst. Gerade die Region um den Genfer See sei ein regelrechtes Anarchisten-Nest gewesen. „Trotzdem hat sie jeden Polizeischutz abgelehnt“, sagt der Autor. Das hing auch damit zusammen, dass Sisi fast immer unter den Pseudonymen „Gräfin von Hohenembs“ oder „Madame de Tolna“ inkognito gereist ist. Zwar wusste praktisch jeder, wer sich dahinter verbarg und die Zeitungen berichteten entsprechend oft, aber der Deckmantel machte ein offizielles Protokoll unnötig. „Nicht nur Sisi, sondern auch die Stadtpräsidenten waren sicher oft froh, keine Empfänge besuchen oder geben zu müssen“, sagt Orsouw, der jüngst ein Buch zu Sisis Aufenthalten in der Schweiz veröffentlicht hat.
So erfuhr auch Lucheni aus der Zeitung, dass sich die Kaiserin in Genf aufhielt. Eigentlich wollte der Italiener den Prinzen von Orleans umbringen und so als „Anarchist der Tat“ – und nicht des bloßen Wortes – in die Geschichte eingehen. Der Adelige war aber schon abgereist und Sisi sogar das noch viel berühmtere Opfer. Die Kaiserin soll manche Wahrnehmung als Omen für das nahe Ende gedeutet haben. „Der Flirt mit dem Tod war jedenfalls Teil ihrer Identität“, sagt Orsouw über die letzten Lebensjahre der hochgebildeten wie kapriziösen Frau.
Der 25-jährige Hilfsarbeiter Lucheni wurde nach der Tat sofort gefasst und sonnte sich in seiner makabren Berühmtheit. Er wollte nach eigenen Worten unbedingt zum Tod verurteilt werden, doch die Todesstrafe war im Kanton Genf schon abgeschafft. Sein Wunsch, deshalb in einem anderen Kanton vor Gericht zu stehen, wurde abgelehnt. Die lebenslange Haft beendete Lucheni 1910 durch Suizid.
Das Hirn des Attentäters
Die Neugier, ob sich ein Anarchisten-Hirn vom Hirn gesetzestreuer Menschen unterscheidet, war 1910 groß. Eine entsprechende Untersuchung habe damals jedoch keine Auffälligkeiten ergeben, sagt Eduard Winter von der Pathologisch-anatomischen Sammlung des Naturhistorischen Museums (NHM) in Wien. Der Kopf von Lucheni kam 1985 sehr diskret aus der Schweiz nach Österreich.
„Er wurde nie ausgestellt, aber in einem Gefäß in einem Regal neben Köpfen mit Hautkrankheiten gelagert“, so Winter. Als zur Jahrtausendwende eine Zeitung darüber berichtet habe, hätten sogleich ein Hotelier und eine Gruppe namens „Luchenis Genossen und Genossinnen“ Interesse angemeldet. Um das Aufsehen im Keim zu ersticken, sei der Kopf eingeäschert und in den Anatomiegräbern des Wiener Zentralfriedhofs bestattet worden, sagt Winter.
Sisis letzter Weg in ihre Heimat war 1898 laut Orsouw ein besonderes Spektakel in mehrfacher Hinsicht. Der Zug mit dem Sarg hielt in fast jedem Kantonshauptort. Honoratioren und Zehntausende einfache Bürger beweinten die tote Kaiserin. „Diese Ehrerbietung und das schon fast monarchische Gehabe sind schon sehr bemerkenswert für die demokratisch geprägte Schweiz“, so der Autor. Eine bleibende Konsequenz hatte das Attentat. Die bittere Erfahrung einer unzureichenden internationalen Zusammenarbeit der Polizei habe noch im selben Jahr zur Gründung der Vorgängerorganisation von Interpol geführt, sagt Orsouw. © dpa
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