Eine KritikvonJulia Hackober Diese Kritik stellt die Sicht von Julia Hackober dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.
„Das sieht ja wirklich aus wie im Fernsehen!“ Das ist mein erster Gedanke, als ich vorm Gruberhof stehe. Das alte Bergbauernhaus, der Blick auf das Kaisergebirge, ja, selbst der Tisch auf der Holzterrasse, an dem Martin Gruber , seine Mutter Lisbeth, Bruder Hans und Tochter Lilli oft bei einer zünftigen Brotzeit sitzen und Probleme wälzen – alles genau wie im ZDF!
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Die Gegend um den Wilden Kaiser in Tirol ist Bergdoktor-Land: Die Serie um die Geschicke eines Landarztes wird seit 2008 hier gedreht, die Drehorte sind beliebte Wanderziele für Fans geworden. Vom Örtchen Söll aus etwa kann man die große Bergdoktor-Runde starten, die vom Bergdoktorparkplatz im Tal (heißt wirklich so!!) zum Gruberhof führt (der wiederum in Wirklichkeit Köpfinghof heißt, darauf sollte man auf den Wanderschildern achten).
Unterwegs auf der „Bergdoktor“-Wanderrunde Ich persönlich habe noch nie etwas gemacht, das so sehr „Fangirl“ schreit, wie drei Stunden lang über Stock und Stein zum Drehort einer Fernsehserie zu latschen. Und es ist mir ein bisschen peinlich: Denn der „Bergdoktor“ ist nun wirklich keine coole, von der Kritik gelobte Avantgarde-Serie. Auf Sizilien die Drehorte der Luxus-Satire „White Lotus“ besichtigen? Ok, kann man als Cineastin mal machen. Aber dass es mich derart in freudige Aufregung versetzen würde, den Ort zu sehen, wo so oft nur Doktor Martin Gruber die richtige Diagnose bei einer seltenen Krankheit stellen kann – das verwundert mich doch ein bisschen.
Ich muss mir wohl eingestehen: Ich bin „Bergdoktor“-Fan. Einer von der knallharten Sorte. Und das, obwohl ich sonst viel auf meinen sorgfältig kuratierten TV-Geschmack halte. Natürlich habe ich sämtliche Streaming-Services abonniert, um alle Neuerscheinungen sehen zu können, über die in den Feuilletons diskutiert wird. Ich will ja mitreden können! Wenn ich nach einem Serientipp gefragt werde, nenne ich meist Produktionen, die mindestens einen Golden Globe oder Emmy gewonnen haben, etwa „Succession“ oder „Chernobyl“.
"Bergdoktor"-Star Ronja Forcher: Liebeserklärung zum Hochzeitstag Entspannung mit einer heilen TV-Welt Was ich verschweige (bis jetzt!), ist meine heimliche, aber große Liebe zum „Bergdoktor“. Doch um ganz ehrlich zu sein: Nie schalte ich besser ab, als wenn der Titelsong „Patience“ von Take That erklingt, die Kamera über die idyllische Tiroler Bergwelt fährt und die Protagonisten mit romantisch-goldenem Filter eingeblendet werden. In dem Moment weiß ich: So, jetzt ist Entspannung angesagt!
Für 90 Minuten kann ich nun in eine heile Welt abtauchen, die meist nur kurz ins Wanken gerät. Denn Doktor Gruber ist ja da, um sich um alle, wirklich alle Probleme seiner Patienten zu kümmern – von unentdeckten Stoffwechselerkrankungen bis zu Ehestreitereien. Allein für sein allzu oft gebrochenes Herz findet Martin Gruber kein Heilmittel; aber ein Happy End kann die Serie, die 2024 in die 17. Staffel geht, für ihren Helden natürlich nicht gebrauchen.
Der einzigartige Charme des „Bergdoktors“ Denn der „Bergdoktor“ lebt von Landschaftsidylle, vorhersehbarem Kitsch und Verlässlichkeit: Die Darsteller bleiben ihren Rollen inzwischen seit 15 Jahren treu (auch wenn Hauptdarsteller Hans Sigl, mittlerweile 54 Jahre alt, die Rolle nach eigenen Aussagen nicht bis zur Rente spielen will).
Aufs klassische Schnulzen-Rezept Herzschmerz plus Landschaft ist gleich perfekte Feierabendunterhaltung setzen freilich auch andere Fernsehsendungen. Den Reiz des „Bergdoktors“ macht vor allem die Konsequenz aus, mit der man auf Altbewährtes vertraut. Es gibt keine Modernisierungsversuche, keinen Sinn für Zeitgeist, die Serie bleibt in Endlosschleife das, was sie immer war: Eine Vermittlerin der wohligen Botschaft, dass die Dinge im Leben vielleicht nicht immer so verlaufen, wie man sich das vorgestellt hat – aber dass man, wenn man nur die richtigen, lieben Menschen um sich hat, beinah alles irgendwie gestemmt kriegt!
Dass man nur Vergeben und Vergessen können muss, sich an den Wert von Freundschaft und Familie erinnern, um selbst die schwärzesten Wolken im Alltag zu vertreiben!
Diese Message wird beim „Bergdoktor“ in unzähligen Variationen durchexerziert. Die Konflikte wiederholen sich, wie die Eifersüchteleien zwischen den Brüdern Martin und Hans, ein bisschen wie im echten Leben, wo man ja oft auch mit den immer gleichen Themen zu kämpfen hat. Nur dass man da nie so genau weiß, ob am Ende alles gut ausgehen wird. Das ist beim „Bergdoktor“ anders; da kann man sich ziemlich sicher sein, dass Martin eines Tages mit seinem alten, grünen Mercedes wieder auf den Gruberhof gefahren kommt, Hans umarmt und alle gegenseitigen Verletzungen vergessen sind.
Die Botschaft, dass sich alles zum Guten wenden kann Seufz! Schmacht! In solchen Momenten, in denen sich beim „Bergdoktor“ wieder einmal alles zum Guten wendet, schleicht sich beim Publikum ebenfalls das Gefühl ein: Vielleicht kann ja wirklich so ziemlich alles in Ordnung kommen. Die Probleme im Job, die Rückenschmerzen, der Streit mit dem Ehemann, die Klimakrise, einfach alles! Und allein dafür, ein paar Sekunden lang diese Zuversicht zu spüren, lohnt es sich doch allemal, sich eine Folge „Bergdoktor“ reinzuziehen. (Und es ist billiger als jedes „Positives Mindset“-Coaching-Seminar!)
Zurück am Gruber-, äh Köpfinghof. Über die Bergkette legt sich langsam die Abendstimmung, ich mache mich auf, ins Tal zurückzuwandern. Da kommt ein weiterer Fan-Trupp um die Ecke, drei Mädels mit einer Flasche Rosé-Sekt, die sie zum Sonnenuntergang köpfen und auf Martin Gruber und sein Lieben und Leiden anstoßen. Wir nicken uns fröhlich zu, tauschen ein paar Worte, niemand findet hier irgendwas uncool oder peinlich. Glücklich wandere ich ins Tal. Beim „Bergdoktor“ geht es nicht um Identifikation, nicht um popkulturelle Selbstvergewisserung – sondern einfach nur ums Wohlfühlen: 90 Minuten Urlaub für die Seele.
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