Mit "Maestro" wurde Leonard "Lenny" Bernstein (1918-1990) ein Denkmal gesetzt. Der Dirigent und Komponist, unter anderem des Musicals "West Side Story", wird in dem Film (seit 6. Dezember in ausgew\u00e4hlten Kinos, ab 20. Dezember weltweit auf Netflix) bei verschiedenen Stationen seiner Karriere begleitet. Doch vor allem seine Beziehung zu seiner Frau Felicia Montealegre Cohn Bernstein (1922-1978) r\u00fcckt in den Mittelpunkt, das klassische Biopic wird zur Hommage an eine besondere Liebesgeschichte.<\/p>\n
Dargestellt wird Bernstein von Bradley Cooper, 48, der nach "A Star Is Born" (2018) erneut nicht nur vor der Kamera den Takt angab, sondern als Regisseur und einer der Produzenten auch hinter der Kamera dirigierte und mit Josh Singer das Drehbuch verfasste. Steven Spielberg, 77, der die Regie aufgrund zu vieler anderer Projekte an Cooper abgab, und Martin Scorsese, 81, waren ebenfalls im Produzententeam. Und um die Riege der gro\u00dfen Namen zu komplettieren, verk\u00f6rpert die Oscar nominierte Carey Mulligan, 38, Bernsteins Frau.<\/p>\n
Sechs Jahre hat Cooper an "Maestro" und seiner Verwandlung in die Musiklegende gearbeitet. Dazu tauschte er sich auch mit den Kindern Bernsteins aus, die ihm den Kompositionskatalog ihres Vaters und ihr Zuhause in Connecticut als Drehort zur Verf\u00fcgung stellten. Die Voraussetzungen f\u00fcr eine gelungene Darstellung waren also geschaffen, doch kann Cooper auch liefern?<\/p>\n
Ein gro\u00dfer Moment im Leben des Dirigenten wird an den Anfang des Films gestellt: Ein Zufall f\u00fchrt dazu, dass Leonard Bernstein 1943 in der New Yorker Carnegie Hall f\u00fcr einen Kollegen einspringt, auf die B\u00fchne tritt und seine Begabung als Dirigent unter Beweis stellen darf.<\/p>\n
Es ist der Beginn einer gro\u00dfen Karriere, Bernstein wird sp\u00e4ter zum ersten US-amerikanischen Musikdirektor des New York Philharmonic Orchestra (1958-1969) und tritt als Gastdirigent auf. Das Werk Gustav Mahlers (1860-1911) fand seine besondere Beachtung und Bewunderung. Doch er will nicht nur dirigieren, sondern auch komponieren. B\u00fchnenwerke wie die "On the Town" (1944) oder "West Side Story" (1957) werden zum gro\u00dfen Erfolg. Der Begriff Maestro steht nicht nur f\u00fcr einen gro\u00dfen Musiker oder Komponisten, sondern kann auch Meister oder Lehrer bedeuten, was Bernstein gerecht wird, da er als Dozent seine Fertigkeiten auch weitergegeben hat.<\/p>\n
Doch nicht prim\u00e4r die gro\u00dfen Durchbr\u00fcche in seiner Karriere, sondern seine Beziehung mit der chilenischen B\u00fchnen- und Fernsehschauspielerin Felicia Cohn Montealegre werden im Verlauf und \u00fcber Jahrzehnte hinweg im Film beleuchtet. Schnell wird klar: Nicht nur die Leidenschaft zur Musik macht den Dirigenten und Komponisten umtriebig und rastlos. Auch in seinem Liebesleben scheint er seine Freiheiten zu genie\u00dfen und seine gro\u00dfe Menschenliebe auf verschiedene Personen verteilen zu wollen. Auch als Felicia in sein Leben tritt, will er sich nicht auf seine Familie konzentrieren. Seiner Frau wird bewusst, dass sie ihn nicht davon abhalten kann und akzeptiert seine homoerotischen Ausfl\u00fcchte aus ihrer Ehe – unter einer Bedingung.<\/p>\n
Um die Jahrzehnte im Leben des Ehepaares im Bild verstreichen zu lassen, beginnt der Film in Schwarz-Wei\u00df. Die Szenen \u00fcber die ersten Erfolge Bernsteins und die Kennenlerngeschichte des Paares werden zu einer blassen Erinnerung und sorgen anfangs f\u00fcr eine gewisse Distanz des Zuschauers zu den Figuren. Erst der Wechsel zu Farbe l\u00e4sst einen n\u00e4her an die Charaktere und deren intensive Beziehung heranr\u00fccken.<\/p>\n
Entscheidend f\u00fcr das Durchleben der verschiedenen Zeitperioden vor und auf der Leinwand sind zudem die optischen Ver\u00e4nderungen, die Cooper und Mulligan in ihren Rollen erleben. Durch verschiedene Prothesen passen sie sich gekonnt dem fortgeschrittenen Alter ihrer Figuren an, sodass besonders Cooper als alternder Bernstein immer mehr hinter seiner Rolle verschwindet.<\/p>\n
Dass die k\u00f6rperliche Transformation auf authentische Weise gelang, best\u00e4tigte Bernsteins Tochter Nina Bernstein Simmons in einem Interview: "Ich kann mich an einen Tag erinnern, an dem ich einen Anruf per FaceTime von einer Nummer bekam, die ich nicht kannte. Ich nahm den Anruf an und es war mein Vater. Es war Bradley nach der Maske und dem Styling und ich konnte nicht aufho\u0308ren zu lachen. Es war total verru\u0308ckt. Ich sah ihn mit Zigarette und Brille und das war alles einfach nur total schra\u0308g."<\/p>\n
Cooper, der zudem auf eine nicht unumstrittene Nasenprothese ("Jewfacing"-Vorwurf) und Ver\u00e4nderung der Stimme setzte, um Bernstein m\u00f6glichst \u00e4hnlich zu sehen, strebte auch in der Darstellung der Arbeit des Musikers nach Authentizit\u00e4t. Mit vollem und schwei\u00dftreibendem K\u00f6rpereinsatz und ausdrucksstarker Mimik widmete er sich etwa gekonnt dem von Bernstein typisch wilden Stil des Dirigierens, der vor allem in der starken Performance bei Mahlers 2. Sinfonie in der Ely Cathedral zum Ausdruck kommt. Dass Cooper die von Bernstein komponierten und dirigierten Werke als Grundlage f\u00fcr Szenen und als Filmmusik zur Verf\u00fcgung hatte, ist ein entscheidender Faktor f\u00fcr die Ausdruckskraft des Films.<\/p>\n
Ausdrucksstark ist auch das Schauspiel von Carey Mulligan, die neben Cooper ganz und gar nicht im Schatten steht. Die Schauspielerin, K\u00fcnstlerin und Aktivistin Felicia Montealegre Cohn Bernstein stellt sie als starke Frau dar, die eine tiefe Liebe zu ihrem Mann empfindet und sich trotz der augenscheinlichen Akzeptanz seiner Liebschaften unzufrieden und verletzt zeigt. Am Ende sorgt sie f\u00fcr die ber\u00fchrendsten Szenen des Films, die ihre verletzliche Seele besonders deutlich zeigen.<\/p>\n
Dass die Bernstein-Ehe im Mittelpunkt des Films steht, f\u00fchrt von selbst dazu, dass die tiefere Auseinandersetzung mit dem Schaffen des Komponisten, wie etwa die Arbeit an seinen Musicals, auf der Strecke bleibt. Auch seine fluide Sexualit\u00e4t wird zwar thematisiert, jedoch mit wenig Details oder expliziten Szenen ausgestattet. Daf\u00fcr bekommt Carey Mulligan zu Recht mehr Leinwandzeit und sorgt f\u00fcr die emotionalen H\u00f6hepunkte im Film.<\/p>\n
"Maestro" beantwortet sicherlich nicht alle Fragen und zeigt nicht jede Facette von Bernsteins Leben und seiner komplexen Pers\u00f6nlichkeit. Der Film weckt aber Interesse an ihm und seiner vielf\u00e4ltigen Kunst, vor allem bei Zuschauern, die zuvor mit seinen Werken weniger vertraut waren. In den Weiten des Internets lohnt ein erg\u00e4nzender Blick in alte Aufnahmen, etwa von Bernsteins Auftritt als Dirigent von Mahlers 2. Sinfonie, die die Filmszenen noch einmal aufleben lassen und zeigen, wie authentisch Coopers Performance wirklich ist.<\/p>\n