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Pl\u00f6tzlich ist das Leben von Marco Schreyl, 49, ein anderes. Am 29. Juni 2015 erh\u00e4lt seine Mutter Petra die Diagnose Chorea Huntington \u2013 eine erbliche, degenerative Funktionsst\u00f6rung des Gehirns. 2013 kommen die ersten Symptome auf, im August 2021 stirbt sie mit 65 Jahren. Auch sein Vater Michael verabschiedet sich viel zu fr\u00fch, stirbt noch vor Schreyls Mutter an den Folgen einer vererbbaren Herzerkrankung. Er wurde 63 Jahre alt. Nicht nur l\u00e4uft der ehemalige <\/span>DSDS<\/span>-Moderator Gefahr, die Erkrankung seines Vaters geerbt zu haben. Er tr\u00e4gt auch eine 50-prozentige Wahrscheinlichkeit in sich, dass die Huntington-Krankheit bei ihm ausbricht. Zu einem Test habe sich der Radiomoderator noch nicht durchgerungen.<\/span><\/p>\n In seinem neuen Buch "Alles gut? Das meiste schon!" hat Marco Schreyl die Jahre im Ausnahmezustand verarbeitet. Mit GALA spricht er au\u00dferdem \u00fcber intime Momente am Sterbebett, gro\u00dfe Schamgef\u00fchle und seinen rebllierenden K\u00f6rper.<\/span><\/p>\n GALA: Gut ein Jahr nach dem Tod Ihrer Mutter haben Sie angefangen, das Erlebte in einem Buch zu verarbeiten. Wie hat Ihnen der Schreibprozess bei der Trauerbew\u00e4ltigung geholfen?<\/strong> A post shared by marco schreyl (@marco_schreyl)<\/p>\n Einst waren Sie und Ihre Mutter ein Team, dann hat die Huntington-Krankheit ihr Wesen komplett ver\u00e4ndert. Wie w\u00fcrden Sie die Beziehung damals und wie in den letzten Jahren beschreiben?<\/strong> Das an ihr festzustellen und diesen Prozess schleichend mitzuerleben, war sehr verletzend f\u00fcr mich. Es hat mehrere Jahre gedauert, herauszufinden, was hinter den Symptomen und hinter der Wesensver\u00e4nderung steckt und dass aus meiner Mutter nicht einfach so eine ganz andere Person geworden ist. Mit der Diagnose im Sommer 2015 konnte ich das zwar einordnen, doch der Schmerz blieb.<\/p>\n Ihre Mutter sah noch aus wie sie selbst, aber die Erkrankung machte sie zu einem anderen Menschen. Mussten Sie sich bereits Jahre zuvor von ihrem Wesen verabschieden?<\/strong> Nach der Diagnose wollte Ihre Mutter nicht, dass Sie anderen von der Erkrankung erz\u00e4hlen, sie setzte Ihren Vater vor die T\u00fcr, wohnte ab Juli 2015 allein. Ihre Mutter wollte Sie nicht hineinlassen, wollte keine Hilfe annehmen \u2013 auch nicht vom Pflegedienst, als sie sich nicht mehr alleine versorgen konnte. Das Schlimme: Sie mussten mitansehen, wie Ihre Mutter immer mehr verwahrloste, konnten nichts machen. Im Buch prangern Sie an, dass viele \u00c4rzte und \u00c4rztinnen keine Ahnung haben, wie sie mit den Erkrankten umgehen sollen.<\/strong> Was passierte dann und was h\u00e4tten Sie sich gew\u00fcnscht?<\/strong> Ihr Vater zog, nachdem Ihre Mutter ihn vor die T\u00fcr gesetzt hatte, f\u00fcr ein Jahr bei Ihnen ein. Ihre Beziehung wurde immer enger, die zu ihrer Mutter immer loser. Wie sind Sie damit umgegangen?<\/strong> Neben all den schweren Jahren mit meiner Mutter konnte ich immerhin meinen Vater noch ganz nah bei mir haben. Und ich bin sehr dankbar, dass ich in jungen Jahren eine Mutter hatte, die so herzzerrei\u00dfend liebevoll zu mir war.<\/p>\n Der Zeitraum ab den ersten Symptomen 2013 bis zum Tod Ihrer Mutter 2021 war sehr lang und gepr\u00e4gt von Zerrissenheit, Ablehnung und Wesensver\u00e4nderung. Wie sind Sie auf Basis dessen mit ihrem Tod umgegangen? Waren Sie erleichtert, als es vorbei war?<\/strong> W\u00e4hrend des jahrelangen Ausnahmezustandes haben Sie immer funktioniert, haben gearbeitet, auch wenn Ihr Job gef\u00e4hrdet war. Neben der stressbedingten G\u00fcrtelrose: Welche k\u00f6rperlichen und mentalen Auswirkungen gab es noch?<\/strong><\/p>\n Auch als meine Dermatologin mich daraufhin fragte: "Was schleppen Sie mit sich herum? Was macht Sie so kaputt, dass Ihr K\u00f6rper es Ihnen auf diese Weise zeigt? Das ist ein Warnzeichen und eigentlich m\u00fcsste ich Sie sofort aus dem Verkehr ziehen." Meine Mutter rief mich zum Beispiel auch nachts um 03:30 Uhr an, war aggressiv, zog richtig vom Leder. Ich legte auf und es klingelte wieder. Das waren aufw\u00fchlende Gespr\u00e4che, nach denen ich oft nicht wieder einschlafen konnte. Ich hatte manchmal Augenringe bis unter die Kniescheiben. Das war sehr anstrengend und ging mir k\u00f6rperlich an die Nieren.<\/p>\n Eine solche Situation isoliert oft. Im Buch schreiben Sie an einer Stelle: "Ich konnte und wollte zu dieser Zeit keine Fragen zu meinem Privatleben beantworten. Ich sch\u00e4mte mich f\u00fcr die Situation und fu\u0308r mich selbst."<\/strong> A post shared by marco schreyl (@marco_schreyl)<\/p>\n Haben Sie dennoch geschafft, sich inmitten dieser Ausnahmejahre zu sch\u00fctzen und Grenzen zu ziehen?<\/strong> Welche positiven Aspekte ziehen Sie noch aus dieser Zeit?<\/strong> Ich versuche mir Tage freizunehmen, an denen nichts stattfindet oder unternehme Abende oder Wanderungen ohne Handy.<\/p>\n Marco Schreyls Mutter war liebevoll \u2013 dann kam die Huntington-Krankheit <\/h2>\n
Marco Schreyl: <\/strong>Der Schreibprozess begann am 9. November 2022, am Geburtstag meiner Mutter. Ob das jetzt Zufall, Schicksal oder F\u00fcgung war \u2013 es war nicht geplant. Das Aufschreiben, das sich noch einmal damit besch\u00e4ftigen und bestimmte Dinge wieder aufw\u00fchlen, haben sehr daf\u00fcr gesorgt, dass ich mit diesem \u2013 und das soll nicht kalt klingen \u2013 Kapitel Familie abschlie\u00dfen konnte.<\/p>\n
Es waren zwei absolut gegenteilige Beziehungen. Vor der Erkrankung war meine Mutter eine lebensfrohe, liebevolle, junge, gut aussehende, zuverl\u00e4ssige Frau, die alles f\u00fcr ihr Kind getan h\u00e4tte und die auch alles mit ihrem Kind getan hat. Wir hatten ganz viel Freude am Leben. Das hat sich komplett umgekehrt.<\/p>\n Schreyl musste mitansehen, wie seine Mutter verwahrlost <\/h2>\n
Bewusst habe ich mich nur an ihrem Krankenbett verabschiedet. Die Verabschiedung von der Frau, die sie mal war, das ist erst nach ihrem Tod w\u00e4hrend des Schreibprozesses passiert. Da wurde mir bewusst, dass ich meine Mutter, als sie im August 2021 starb, zwar k\u00f6rperlich verloren habe, dass der eigentliche Verlust aber Jahre zuvor stattfand. Das wollte ich w\u00e4hrend der Krankheitsphase nicht akzeptieren. Ich wollte mich einbringen, wollte ihr helfen, wollte, dass es ihr gut geht. Heute wei\u00df ich, dass ich meine Mutter schon in ihren letzten Lebensjahren Schritt f\u00fcr Schritt verloren habe.<\/p>\n
Da treffen Sie ins Schwarze, das ist ein sehr wichtiges Thema. Ich m\u00f6chte niemandem auf die Finger hauen oder beschuldigen. Ich unterstelle jedem im Gesundheitswesen maximale Verantwortung und dass jeder das, was er macht, mit Herz und Seele macht \u2013 auch gegen\u00fcber den Verantwortlichen meiner Mutter. Das System hakt. Vor circa 15 Jahren, als sie gesund und bei Sinnen war, schloss meine Mutter eine Patientenverf\u00fcgung ab und vermerkte darin, dass mein Vater und ich mit einbezogen werden. Die Verf\u00fcgung \u00e4nderte sie jedoch, als sie krank war und sich ihr Wesen bereits ver\u00e4ndert hatte. Ab da galt meine Mutter als einzig m\u00fcndige Person, uns waren die H\u00e4nde gebunden. Das hat sich falsch angef\u00fchlt.<\/p>\n![](\"https:\/\/image.gala.de\/23936326\/t\/gz\/v9\/w960\/r0\/-\/buchcover.jpg\")
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In den letzten Lebensmonaten meiner Mutter war ich viel in Kontakt mit dem Sozialamt und der Betreuungsstelle, die wirklich alles versucht haben, aber zu mir meinten: "Sie haben eine alte Patientenverf\u00fcgung, wir k\u00f6nnen nichts f\u00fcr Sie tun, au\u00dfer Sie inoffiziell zu informieren. Sie haben kein Recht, einzugreifen." Da ist mir rausgerutscht: "Wir sind doch kein Sozialstaat. Wir sind ein Asozialstaat." Die Regularien m\u00fcssen angepasst werden. Im Fall meiner Mutter war das eine Farce. Eine Patientenverf\u00fcgung zu haben, die in gesunden, gl\u00fccklichen Zeiten entstand, die aber weniger wert war als eine, die in schon kranken Zeiten abgeschlossen wurde, hat mich ziemlich fertig gemacht.<\/p>\n M\u00e4nner-WG mit dem Vater: „Es gab pl\u00f6tzlich keine Tabus mehr“ <\/h2>\n
Das mit meinem Vater zu erleben, ist ein Geschenk f\u00fcrs Leben. Wir haben \u00fcber Dinge geredet, \u00fcber die wir noch nie gesprochen hatten, es gab pl\u00f6tzlich keine Tabus mehr.<\/p>\n Intime Momente am Sterbebett <\/h2>\n
In der Nacht im Krankenhaus, in der ich mich gl\u00fccklicherweise von meiner Mutter verabschieden durfte, habe ich das genauso empfunden. Ich habe mir gew\u00fcnscht, dass meine Mutter eine gewisse Leichtigkeit versp\u00fcrt, mich h\u00f6ren kann, als ich an ihrem Krankenbett gesessen habe. Ich habe mir gew\u00fcnscht, dass sie meine Stimme nicht als eine Bedrohung, sondern als Beruhigung empfindet und dass sie sich fallen lassen kann. Dieses Bild, das sie vom Leben loslassen und \u00fcber die Br\u00fccke gehen kann, dahin, wo es ihr besser geht, trage ich in mir. Das hat mir in den schweren Stunden ein Gef\u00fchl von Trost gegeben.<\/p>\n „Ich sch\u00e4mte mich f\u00fcr die Situation und fu\u0308r mich selbst“ <\/h2>\n
Ganz besonders hat mich belastet, dass ich meine Freundinnen und Freunde nicht belasten wollte. Ich wollte nicht st\u00e4ndig der sein, der mit neuen Schreckensdetails um die Ecke kommt, wenn wir uns eigentlich zum Pasta-Essen verabredet haben, einen Wein trinken und \u00fcber das Leben lachen wollten.<\/p>\n
Ich habe mir oft einen Satz gesagt, der lautete: "Du musst es schaffen, dir wichtig zu sein. Die Eltern und ihre Sorgen d\u00fcrfen in diesem Moment nicht wichtiger sein, als wir selbst es uns sind." Das habe ich versucht zu befolgen und m\u00f6chte diesen Ratschlag auch in die Welt hinaustragen.<\/p>\n „Die gro\u00dfe Frage, ob ich dasselbe Schicksal wie meine Mutter habe oder nicht, trage ich aktuell mit mir herum“ <\/h2>\n
Ich werde bald 50 Jahre alt und gehe viel sorgsamer mit mir und meinem K\u00f6rper um.<\/p>\n