Handke im Rabenhof? Das passt genauso gut wie Kreisky im Rabenhof. Am besten gleich beides gleichzeitig. Wenige Tage nach der rauschenden 20-Jahr-Feier des von Thomas Gratzer geleiteten Theaters in Wien-Erdberg wurde die B\u00fchne am Mittwoch dem per Video-Ansprache ge\u00e4u\u00dferten Wunsch des Bundespr\u00e4sidenten gerecht: „Weiterhin Rock’n Roll im Gemeindebau!“ Bei einer rockig-flockigen Version von Peter Handkes „Publikumsbeschimpfung“ blieb kaum ein Wunsch offen.<\/p>\n
Das 1966 von Claus Peymann in Frankfurt uraufgef\u00fchrte Sprechst\u00fcck hat Theatergeschichte geschrieben. Wie stark es bis in die Gegenwart weiterwirkt, sieht man nicht zuletzt daran, dass die Autorin Sivan Ben Yishai ihre Auseinandersetzung mit der Institution Theater – mit der am 3. November die neue Direktion des Schauspielhaus Wien startet – ausgerechnet „B\u00fchnenbeschimpfung“ genannt hat. Das Theater ist in der Krise selbstkritisch geworden und wirbt mehr um sein Publikum als dass es zu verst\u00f6ren sucht.<\/p>\n
Insofern ist der Ansatz von Regisseur Matthias Jodl ganz auf der H\u00f6he der Zeit. Das Brechen aller Theaterkonventionen, das Verweigern von Narration, von Handlung und Charakteren ist heute ebenso wenig provokant wie die Konzentration auf die Sprache oder die unmittelbare pejorative Ansprache des Publikums. Also hat Jodl den Text stark gek\u00fcrzt und das Sprechst\u00fcck zur Sprechoper bearbeitet. Dem Verlust des Sperrigen und R\u00e4udigen steht der Gewinn des Musikalischen und Druckvollen gegen\u00fcber. Und weil ein tolles Team am Werk ist, f\u00e4llt diese nur etwas mehr als einst\u00fcndige „Publikumsbeschimpfung“ unterhaltsam, aber nicht seicht, kulinarisch, aber nicht unkritisch aus.<\/p>\n
Vier M\u00e4nner und vier Frauen stehen und sitzen in tollen Kost\u00fcmen von Katia Bottegal auf der B\u00fchne von Sarah Sassen, die ebenso Proberaum wie Kunstinstallation sein k\u00f6nnte: Neben Franz Adrian Wenzl und seiner Band Kreisky sind Tanja Raunig und die drei Musikerinnen und S\u00e4ngerinnen Anna Hauf, Anita Rosati und Berenike T\u00f6lle daf\u00fcr verantwortlich, dass das von Michael Mautner und Kreisky ausgeheckte Musik-Konzept aufgeht. Diese „Publikumsbeschimpfung“ \u00e4hnelt deutlich mehr einem Rockkonzert als einer Theatervorstellung – und das ist sehr gut so. Szenische Einlagen gibt es nur in Spurenelementen – etwa bei einer gelungenen liturgischen Einlage.<\/p>\n
Das beschimpfte Publikum („Ihr Unterweltler. Ihr Nimmersatt. Ihr Siebengescheiten. Ihr Neunmalklugen …“) jubelte am Ende ausgiebig. Der Rock’n Roll im Gemeindebau ist zwar erwachsen geworden – aber jung geblieben.<\/p>\n
(S E R V I C E – „Publikumsbeschimpfung“ von Peter Handke, Musik: Michael Mautner und Kreisky. Regie: Matthias Jodl, B\u00fchnenbild: Sarah Sassen, Kost\u00fcme: Katia Bottegal, Musikalische Leitung: Michael Mautner, Choreographie: Petra Kreuzer. Mit: Tanja Raunig, Franz Wenzl und Kreisky, Chor: Anna Hauf, Anita Rosati und Berenike T\u00f6lle. Rabenhof, Wien 3, Rabengasse 3, N\u00e4chste Auff\u00fchrungen: 5., 27., 28.10., 24., 25.11. )<\/p>\n
(APA)<\/p>\n