Was ist nur mit Julio Iglesias, 80, los? Man h\u00f6rt nichts mehr von ihm, er singt nicht mehr. Kein Lachen mehr, nicht mal mehr ein L\u00e4cheln, wo doch Millionen Frauen verr\u00fcckt waren nach seinen Gr\u00fcbchen und den schneewei\u00dfen Bei\u00dferchen. Kein Lied mehr, kein "Hey!", "Me Va, Me Va" oder "Amor". Julio Iglesias ist verstummt.<\/p>\n
Andererseits h\u00e4tte er sich den Ruhestand wirklich verdient, denn er ist seit 1968 im Showbusiness, hat \u00fcber 300 Millionen Tontr\u00e4ger verkauft und z\u00e4hlt zu den weltweit erfolgreichsten S\u00e4ngern. Da kann man schon mal die F\u00fc\u00dfe hochlegen. Au\u00dferdem k\u00f6nnte er l\u00e4ngst Rente beziehen, denn am 23. September wird er 80, ein Alter, in dem f\u00fcr gew\u00f6hnlich "die Erinnerung an die Stelle der Hoffnung tritt", wie es der Schriftsteller Wilhelm Raabe (1831-1910) definiert hat.<\/p>\n
Kann es sein, dass er sich nicht mehr an seinen alten Spruch erinnert, mit dem er seinem Publikum mehrfach versprochen hat: "Ich habe beschlossen, zu singen, bis ich 90 bin"? Er brauche einfach das Singen, "um weiterleben zu k\u00f6nnen". Live-Konzerte seien f\u00fcr ihn eine "eine Sucht, f\u00fcr die es kein Gegenmittel" gebe.<\/p>\n
Stattdessen Schweigen. Seit vier Jahren meidet er Auftritte, sein letztes Interview liegt noch l\u00e4nger zur\u00fcck. Er lebt zur\u00fcckgezogen in der Karibik und postet bisweilen auf Instagram alte Fotos und Videos von sich – wie ein \u00e4lterer Herr, der in Erinnerungen schwelgt. Dazu passt ein Bericht, dass er an seinen Memoiren arbeite.<\/p>\n
Da hat er viel zu schreiben: Geschichten aus dem Leben eines klassischen Latin Lovers, den Julio Iglesias in den letzten 50 Jahren verk\u00f6rpert hat. Seine K\u00fcnstlerkarriere begann nicht unten im sozialen Milieu wie bei vielen seiner Kollegen. Iglesias kommt aus gutem Hause, der Vater Julio Iglesias Puga (1915-2005), ein angesehener Arzt, stammte aus der nordwestspanischen Provinz Galicien, die Familie der Mutter Mar\u00eda del Rosario de la Cueva y Perignat (1919-2002) kam aus Puerto Rico, Kuba und Andalusien.<\/p>\n
Urspr\u00fcnglich wollte der junge Julio nicht S\u00e4nger, sondern Fu\u00dfballer und dann Diplomat werden. Er studierte in Madrid und Cambridge Jura (mit dem Berufsziel Ausw\u00e4rtiges Amt) und war als herausragendes Talent Torwart in der Juniorenmannschaft von Real Madrid. Ein schwerer Autounfall beendete 1963 seine Sportkarriere. Zwei Monate lang schwebte der junge Mann zwischen Leben und Tod, die untere Wirbels\u00e4ule war gebrochen sowie beide Beine, er war teilweise querschnittsgel\u00e4hmt und verbrachte zwei Jahre in einer Reha-Klinik.<\/p>\n
Ein Arzt gab ihm eine Gitarre, damit er die Motorik und Geschicklichkeit seiner H\u00e4nde trainieren konnte. So entdeckte er sein musikalisches Talent. Nachdem er 1968 das Song Festival von Benidorm, bei dem er noch an Kr\u00fccken auf die B\u00fchne humpelte, gewonnen hatte, brach er sein Jura-Studium ab und widmete sich nur noch der Musiklaufbahn.<\/p>\n
Es wurde eine atemberaubende Karriere. Er nahm 29 Alben auf, sang in 14 Sprachen, darunter Spanisch, Italienisch, Portugiesisch, Franz\u00f6sisch, Englisch und Deutsch, aber auch Indonesisch, Philippinisch und Mandarin, gab rund 5.000 Konzerte (unter anderem 1988 als erster westlicher Star im chinesischen Fernsehen mit 300 Millionen Zuschauern), arbeitete mit Frank Sinatra, Pl\u00e1cido Domingo, Dolly Parton, Diana Ross, den Beach Boys, Art Garfunkel, Sting, Stevie Wonder, den Pointer Sisters, Willie Nelson und Nana Mouskouri.<\/p>\n
Er absolvierte zwei Welttourneen, wurde zum "Ritter der franz\u00f6sischen Ehrenlegion" geschlagen, bekam einen Eintrag als erfolgreichster spanisch-sprechender S\u00e4nger ins Guinness-Buch der Rekorde, einen American Music Award als beliebtester Latino-K\u00fcnstler sowie einen Stern auf dem ber\u00fchmten Walk of Fame in Hollywood.<\/p>\n
1981 wurde sein Vater Dr. Julia Iglesias Opfer der Popularit\u00e4t des Sohnes. Baskische ETA-Terroristen entf\u00fchrten den Arzt, der nach 19 Tagen wieder freikam.<\/p>\n
Seit Ende der 1970er-Jahre lebt Iglesias gr\u00f6\u00dftenteils in Florida, auf den Bahamas sowie in der Dominikanischen Republik und auf einer Luxus-Finca in Andalusien. Seine Ranch in Argentinien war 1996 von der Zwangsversteigerung bedroht, weil Julio sich nach einem verlorenen Plagiatsprozess – er soll einen Song des Argentiniers Larry Moreno in seinem Hit "Morri\u00f1as" verarbeitet haben – weigerte, die Schadensersatzsumme von 51.300 Dollar zu zahlen.<\/p>\n
Der Latin Lover Julio Iglesias, der angeblich mit \u00fcber 3.000 Frauen ein Verh\u00e4ltnis hatte, ist Vater von acht ehelichen Kindern, drei mit seiner ersten Frau (1971-1979), der philippinischen Diplomatentochter Isabel Preysler, 72, f\u00fcnf mit der zweiten Ehefrau (seit 2010), dem 22 Jahre j\u00fcngeren holl\u00e4ndischen Ex-Model Miranda Rijnsburger, 57. Eine fast 30-j\u00e4hrige Vaterschaftsklage um einen weiteren Sohn (mit einer portugiesischen T\u00e4nzerin) ging vor dem Obersten Gerichtshof 2021 zugunsten von Julio Iglesias aus. Seine beiden \u00e4ltesten S\u00f6hne sind beide auch sehr erfolgreich im Showbusiness, vor allem Enrique Iglesias, 48, machte eine Weltkarriere als S\u00e4nger und Komponist.<\/p>\n
2001 erf\u00fcllte Julio Iglesias sich und seinem Vater einen Herzenswunsch. Er beendete an der Complutense-Universit\u00e4t in Madrid nach 33-j\u00e4hriger Unterbrechung sein Jura-Studium und ist seither in Spanien auch als Rechtsanwalt zugelassen.<\/p>\n
Der wahre Julio ist nicht immer der gutgelaunte Strahlemann. In einem Interview mit "Bild am Sonntag" hat er zugegeben: "Ich hatte fr\u00fcher immer mal wieder Depressionen, aber nie so starke, dass ich dachte: Ich kann mich nicht ertragen, ich muss mich umbringen. Ich bin ein \u00dcberlebensk\u00fcnstler."<\/p>\n
Und dem "Spiegel" sagte er nachdenklich, dass er nicht immer das f\u00fchle, wovon seine Lieder handelten. "Man hat mich abwechselnd als wundervollen oder scheu\u00dflichen S\u00e4nger bezeichnet. Vor allem war ich der Herzensbrecher, der junge Frauen liebt, und so ein Mist. Ich sehe mich als Langzeit-\u00dcberlebenden des Showgesch\u00e4fts. Das zu schaffen war nicht leicht."<\/p>\n
Die Kritik in seinem Heimatland, er sei doch nur ein Schnulzens\u00e4nger, hat ihm offenbar zu schaffen gemacht. Er selbst sagte einmal, dass er trotz seines riesigen Erfolgs in Spanien als nur "m\u00e4\u00dfiger K\u00fcnstler" gelte, "der mangelndes Talent mit Charme und Glamour wettmacht. Ein simpler, aber netter Latin Lover".<\/p>\n
Vermutlich hat er deshalb 2011 beim Festakt seiner Ehrung durch das Instituto Cervantes, dem spanischen Pendant zum deutschen Goethe-Institut, seinen R\u00fcckzug aus der \u00d6ffentlichkeit bekannt gegeben. Laut "Mallorca Zeitung" hat die "gew\u00f6hnlich gut informierte" Schriftstellerin und Journalistin Beatriz Cort\u00e1zar vor Kurzem dem Radiosender "EsRadio" gesagt: "Er hat das Gef\u00fchl, dass sein Land ihn nicht so liebt wie er sein Land liebt."<\/p>\n
Seine spanischen Fans hoffen nun, dass Julio Iglesias bei der Einweihung des modernisierten Stadions von Real Madrid kurz vor Weihnachten wieder nach Hause kommt und auf der B\u00fchne stehen wird. Denn nach wie vor ist Real die Liebe seines Lebens.<\/p>\n