Mit einem Er\u00f6ffnungsfest startet die Grazer Oper am Samstag (9. September) in die neue Saison unter der ebenfalls neuen Leitung von Ulrich Lenz. Mit der APA sprach der Intendant \u00fcber die Neuerungen wie „Oper am Land“, aber auch \u00fcber das Projekt, die Oper „Hoffmanns Erz\u00e4hlungen“ zum Auftakt von vier Regieteams in Szene setzen zu lassen. Jammern \u00fcber Probleme wie Zuschauerschwund nach der Pandemie befindet der Neo-Intendant als „extrem unsexy“.<\/p>\n
APA: Auf den Plakaten zur Saisoner\u00f6ffnung steht das Motto „Oper, \u00f6ffne dich!“. Welche Ereignisse d\u00fcrfen sich die Besucherinnen und Besucher aus dem ge\u00f6ffneten Haus unter Ihrer Leitung erwarten?<\/p>\n
Lenz: Das Motto ist zun\u00e4chst als Aufforderung ebenso an uns als Team der Oper Graz wie an unser Publikum gerichtet, offen zu sein f\u00fcr die unterschiedlichsten Begegnungen, die eine Kulturinstitution wie die Oper Graz zu bieten hat. Und es soll nat\u00fcrlich den Spirit vermitteln, den wir aussenden wollen: Dass wir als Ort der Begegnung wirklich alle willkommen hei\u00dfen, ungeachtet sozialer Pr\u00e4gungen oder irgendwelcher Zugeh\u00f6rigkeiten. Darauf zielt das Programm der kommenden Spielzeit in seiner ganzen Vielseitigkeit, die eben ganz bewusst auch Projekte mit einschlie\u00dft, die auf die Menschen zugehen wollen – indem sie entweder den gesch\u00fctzten Raum des Opernhauses verlassen oder andere musikalische Traditionen auf die B\u00fchne zu holen versuchen.<\/p>\n
APA: Den Auftakt stellt ein Konzert mit Musik von Strauss, Berg, E\u00f6tv\u00f6s und Ravel, es singt Vera-Lotte Boecker. Warum haben Sie sich f\u00fcr dieses Programm und diese S\u00e4ngerin entschieden?<\/p>\n
Lenz: Das Programm ist in gewisser Weise eine Visitenkarte unseres neuen Chefdirigenten, Vassilis Christopoulos. Es tr\u00e4gt nicht nur den Titel „Auftakt“, es beginnt auch mit einem der schwungvollsten Auftakte der Musikgeschichte – jenem zu Richard Strauss‘ fr\u00fcher Tondichtung „Don Juan“. Es folgen Alban Bergs „Sieben fr\u00fche Lieder“, die ebenfalls am Anfang seines kompositorischen Schaffens entstanden sind. In den im Opernhaus veranstalteten Konzerten soll im Kontrast zu den Konzerten im wundersch\u00f6nen Stefaniensaal stets ein vokales Element Teil des Programms sein. Vera-Lotte Boecker ist nicht nur „Operns\u00e4ngerin des Jahres 2022“, sondern als S\u00e4ngerin und Darstellerin in der sowohl intellektuellen als auch emotionalen Durchdringung der von ihr gesungenen Partien eine echte Ausnahmek\u00fcnstlerin, meiner Meinung nach die derzeit beste Lulu der Welt. Nach „Shadows“ von P\u00e9ter E\u00f6tv\u00f6s schlie\u00dft das Konzert mit einem wahren „Blockbuster“: dem ber\u00fchmten „Bolero“ von Maurice Ravel. Diese Mischung aus Klassikern und neu zu Entdeckendem kennzeichnet die gesamte Spielzeit, und ich freue mich sehr, dass Vassilis Christopoulos meine Leidenschaft f\u00fcr ein solch breites Repertoire teilt: Es war sein unbedingter Wunsch, neben Verdis „Macbeth“ auch die \u00f6sterreichische und gleichzeitig deutschsprachige Erstauff\u00fchrung von „Schlaflos“ von P\u00e9ter E\u00f6tv\u00f6s zu dirigieren. Mit E\u00f6tv\u00f6s‘ „Shadows“ gibt er in seinem Er\u00f6ffnungskonzert schon einen kleinen Vorgeschmack auf die ber\u00fcckende Tonsprache dieses gro\u00dfartigen, zeitgen\u00f6ssischen Komponisten.<\/p>\n
APA: Die erste Oper, die das Publikum sehen wird, ist „Hoffmanns Erz\u00e4hlungen“, in Szene gesetzt von vier verschiedenen Regieteams. Was erwarten Sie sich von dieser Aufsplittung?<\/p>\n
Lenz: Tats\u00e4chlich bin ich eigentlich kein Freund davon, ein Opernwerk von mehreren Regieteams inszenieren zu lassen. Bei „Hoffmanns Erz\u00e4hlungen“ hat die Idee jedoch nicht nur einen besonderen Reiz, sondern besitzt auch einen tieferen Sinn: Der Universalk\u00fcnstler Hoffmann – denn das war der historische E.T.A. Hoffmann – imaginiert drei unterschiedliche Geschichten von drei unterschiedlichen Frauen und seiner Beziehung zu jeder von ihnen. Was liegt da n\u00e4her, als ganz unterschiedliche Theaterkunstformen zu bem\u00fchen, um diese drei Geschichten in Szene zu setzen: die Kombination aus Animation und realen Akteurinnen und Akteuren, die Interaktion von lebensgro\u00dfen Puppen, S\u00e4ngerinnen und S\u00e4ngern und Choreografie in einem universalen Sinne als Bewegung des menschlichen K\u00f6rpers im Raum. Die unterschiedlichen Herangehensweisen an die drei Binnenakte sind dieser Oper sozusagen werkimmanent.<\/p>\n
APA: Und wie funktioniert das finanziell, wenn gleich vier Teams bezahlt werden m\u00fcssen?<\/p>\n
Lenz: Es ist gar nicht unbedingt selbstverst\u00e4ndlich, dass sich insgesamt vier Regisseurinnen und Regisseure – der vierte im Bunde sorgt f\u00fcr den ebenso wichtigen Rahmen der Geschichte – darauf einlassen, die eigene Kreativit\u00e4t als Teil eines gro\u00dfen Ganzen zu verstehen. Und bereit sind, f\u00fcr nur einen Teil der \u00fcblichen Regiegage zwar auch nur einen Teil des Abends zu inszenieren, deswegen ja aber nicht proportional weniger Proben- und Vorbereitungsarbeit zu leisten. Das Ganze wird \u00e4u\u00dferlich durch eine relativ schlichte, aber wandelbare B\u00fchne zusammengehalten, f\u00fcr die ein einziger B\u00fchnenbildner verantwortlich zeichnet. Finanziell erfordert das zwar tats\u00e4chlich einen etwas gr\u00f6\u00dferen Rahmen, aber keinesfalls das Vierfache einer normalen Produktion. Viel entscheidender ist die logistische Herausforderung im Hinblick auf die Probendisposition. Aber wann, wenn nicht am Anfang einer neuen Spielzeit und zur Er\u00f6ffnung einer neuen Intendanz kann man so ein Sonderprojekt wagen?<\/p>\n
APA: Sie zeigen auf der gro\u00dfen B\u00fchne f\u00fcnf Opernpremieren, wovon nur zwei Titel – „Hoffmanns Erz\u00e4hlungen“ und „Macbeth“ – einem breiteren Publikum bekannt sind. Wie experimentierfreudig kann man als Opernintendant mit einem eingeschr\u00e4nkten Budget sein?<\/p>\n
Lenz: Ich sehe mich da durchaus in der Tradition des Hauses unter meiner Vorg\u00e4ngerin Nora Schmid, die in den vergangenen Jahren auf sehr spannende Weise Bekanntes mit Ausgrabungen und Neuentdeckungen gemischt hat. Zudem bietet das „Unbekanntere“ in dieser Spielzeit immer auch bekannte Ankn\u00fcpfungspunkte wie beispielsweise der in Koproduktion mit dem Schauspielhaus geplante „B\u00fcrger als Edelmann“, den man nicht unbedingt in seiner originalen Gestalt als Gesamtkunstwerk mit Gesang und Ballett kennt, wohl aber als eine brillante Kom\u00f6die von Moli\u00e8re. Und die Eingrenzung des sogenannten „breiteren Publikums“ ist nat\u00fcrlich immer auch subjektiv bedingt: Im Nachbarland Slowenien, nur 40 Kilometer von Graz entfernt, kennt wirklich jeder Operng\u00e4nger und jede Operng\u00e4ngerin Anton Foersters „Die Nachtigall von Gorenjska“. Das ist f\u00fcr die Slowenen, was f\u00fcr die Tschechen „Die verkaufte Braut“ ist. Auch inhaltlich und musikalisch gibt es da durchaus Parallelen. Niemand muss sich hierzulande sch\u00e4men, dass er das bisher nicht kannte. Ich selbst habe es auch erst im Zuge meiner Besch\u00e4ftigung mit Graz kennengelernt. Aber es k\u00f6nnte doch durchaus Neugier wecken, dass in nicht allzu gro\u00dfer Entfernung just diese Oper ein \u00fcberaus breites Publikum besitzt – und vielleicht lockt es ja auch zus\u00e4tzliches Publikum \u00fcber die Grenze? Wirklich experimentierfreudig im Sinne von gewagt, weil von allem Bekannten und Gewohnten weit entfernt, empfinde ich die Auswahl also nicht, umso mehr als es sich bei keinem der Werke um wirklich „schwere Kost“ handelt. Nicht einmal bei E\u00f6tv\u00f6s‘ „Schlaflos“, dessen Handlung zwar herzzerrei\u00dfend traurig ist, durch die wunderbare und f\u00fcr jeden unmittelbar zug\u00e4ngliche Musik aber eine \u00dcberh\u00f6hung erf\u00e4hrt, wie dies eben nur das Musiktheater kann.<\/p>\n
APA: Erstmals gibt es auch die Schiene „Oper am Land“, die den „Berggeist vom Sch\u00f6ckl“ lebendig werden l\u00e4sst. Wie ist es zu dieser Idee gekommen?<\/p>\n
Lenz: Als Chefdramaturg der Komischen Oper Berlin habe ich gemeinsam mit meinem Team viele Erfahrungen gesammelt in dem, was man neudeutsch „Outreach“ nennt. Die Begegnungen mit Menschen, die – noch – keinerlei Bezug zur Oper haben, sich aber mit wenig Aufwand, im direkten pers\u00f6nlichen Austausch von dieser Kunstform begeistern lassen, waren voll von vielen begl\u00fcckenden Erfahrungen. Das kommt aber eben nur zustande, wenn man das Haus verl\u00e4sst und die Menschen vor Ort aufsucht. Eine wie freundlich auch immer ausgesprochene Einladung reicht meist nicht aus. Warum sollte ich die M\u00fche auf mich nehmen, nach Graz in die Oper zu fahren, wenn ich mir gar nicht vorstellen kann, was mich da erwartet? Der „Berggeist vom Sch\u00f6ckl“, eine Art Minierz\u00e4hloper von Christoph Breidler und Susanne F. Wolf, kommt g\u00e4nzlich ohne B\u00fchnenbild aus. Dabei soll das Prinzip von Musiktheater – Geschichten mit Musik und Gesang zu erz\u00e4hlen – ganz ohne Erkl\u00e4rungen, allein durch die Ausf\u00fchrung, f\u00fcr sich begeistern. Und dass auch das Land Steiermark sich f\u00fcr dieses besondere Unterfangen hat begeistern lassen und uns finanziell dabei unterst\u00fctzt.<\/p>\n
APA: Die Pandemie hat allgemein einen Publikumsschwund bewirkt, dem die Theater jetzt \u00fcberall entgegenwirken m\u00fcssen. Wie wollen Sie die Menschen davon \u00fcberzeugen, dass es sich lohnt, in die Oper zu kommen?<\/p>\n
Lenz: Mit einem Spielplan, der auf vielen unterschiedlichen Ebenen neugierig macht. Und mit der Begeisterung f\u00fcr jedes einzelne Projekt. Diese Begeisterung, die uns alle im Theater antreibt, gilt es, nach au\u00dfen zu tragen. Das permanente Jammern \u00fcber all die Probleme macht extrem unsexy! Seit ich am Theater arbeite, wird mir der Tod der Oper prophezeit. Sie lebt aber immer noch! Und nichts ist berauschender und begl\u00fcckender, als eine spannende Auff\u00fchrung in einem Raum gemeinsam mit anderen Menschen zu erleben und dabei vielleicht im Altbekannten Neues oder im Neuen uralte Weisheiten zu entdecken!<\/p>\n
(Das Gespr\u00e4ch f\u00fchrte Karin Zehetleitner\/APA)<\/p>\n
(APA)<\/p>\n