Katholizismus auf dem Lande<\/h2>\n
Nat\u00fcrlich treibt den Sohn – wie auch die Leser – die Frage um: Wie ist es m\u00f6glich, mit einem solchen Leid, dem Tod von vier geliebten Br\u00fcdern, weiterzuleben? Der Sohn, immer voller Respekt f\u00fcr die Mutter, sieht in ihrem Glauben, einem leidenschaftlichen Katholizismus, den Halt, der sie durchs Leben trug: „Sie zweifelt nicht, weil sie glaubt. Darum habe ich sie immer beneidet.“ Er r\u00e4umt aber auch ein, mit diesem f\u00fcr ihn manchmal zu unkritischen Vertrauen in die katholische Kirche immer wieder gehadert zu haben.<\/p>\n
Im ersten Teil des Buchs entwickelt Beckmann ein sehr eindr\u00fcckliches Panorama einer von der katholischen Kirche gepr\u00e4gten l\u00e4ndlichen Welt, die in Wellingholzhausen bei Osnabr\u00fcck die vermeintlich so wilden 20er Jahre bestimmt, bis auch hier der Nationalsozialismus langsam an Boden gewinnt, wenn auch nie vollst\u00e4ndig. Neben der Kirche pr\u00e4gen Armut und fr\u00fche Todesf\u00e4lle das Leben der Schusterfamilie Haber. Aennes Mutter stirbt bald nach ihrer Geburt und wird durch eine ebenso t\u00fcchtige wie strenge Stiefmutter ersetzt. Der Vater stirbt wenige Jahre sp\u00e4ter infolge eines nie auskurierten Kriegsleidens. Bald gibt es auch einen Stiefvater.<\/p>\n
Gerade diese komplizierten, wenig herzlichen Verh\u00e4ltnisse schwei\u00dfen die Geschwister fest zusammen – bis der Krieg sie trennt. In den Briefen der drei Soldaten zeichnen sich die unterschiedlichen Haltungen und Temperamente der Br\u00fcder ab. Ein \u00fcberzeugter Nazi ist keiner von ihnen. Doch Hans, der Zweit\u00e4lteste, sieht in seiner Karriere als Unteroffizier eine M\u00f6glichkeit des sozialen Aufstiegs. Er wird sp\u00e4ter als erster der Br\u00fcder im September 1942 kurz vor Moskau sterben. Alfons, der Womanizer, vergisst selbst im schlimmsten Elend nicht, sich bei seiner Schwester nach dem Befinden seiner diversen Flirts in der Heimat zu erkundigen. Er bleibt bei Stalingrad vermisst.<\/p>\n
Entwaffenende Offenheit<\/h2>\n
Doch der nachdenklichste und mutigste der Br\u00fcder ist zweifellos Franz, f\u00fcr den sein Neffe genau deshalb eine besondere Vorliebe hat. Seine Briefe sind von entwaffnender Offenheit: „Habe die Nase gestrichen voll“, „Hoffentlich hat es bald ein Ende“, schreibt Franz trotz der Zensur und schildert ungeschminkt das brutale Soldatenleben. Auf seinem letzten Heimaturlaub h\u00e4tte er die Chance unterzutauchen. Er weigert sich und l\u00e4uft ins Verderben.<\/p>\n
Beckmann erz\u00e4hlt all das in einer klaren Sprache, verst\u00e4ndnisvoll, aber nicht sentimental. Die historischen Hintergr\u00fcnde bindet er geschickt mit ein, so weit sie notwendig sind. Nur einmal begeht er einen Fauxpas. Als Beispiel f\u00fcr die Leiden der Bev\u00f6lkerung im belagerten Leningrad schildert er ausgerechnet ausf\u00fchrlich das Schicksal der Familie Putins. H\u00e4tte es da nicht weniger verf\u00e4ngliche Beispiele gegeben?<\/p>\n
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