Fu\u00dfballtrainer geben h\u00e4ufig an, ihre Geburtstage nicht oder nur im Stillen zu feiern. F\u00fcr diese Herangehensweise scheint auch Bayerns Cheftrainer Thomas Tuchel pr\u00e4destiniert zu sein, \u00f6ffentlich ist \u00fcber eine gro\u00dfe Fete zu seinem 50. Geburtstag jedenfalls nichts bekannt. Noch dazu befinden wir uns mitten im Saisonauftakt der Bundesliga und der Druck nach Tuchels verkorkstem Einstand Ende letzter Saison ist in M\u00fcnchen schon seit der gesamten Vorbereitung gro\u00df. Auf diesem Karriereweg lernte der geb\u00fcrtige Krumbacher, mit Druck umzugehen.<\/p>\n
Die Grundlagen f\u00fcr Tuchels Schaffen wurden in Schwaben geschaffen, wo der heutige Bayerntrainer in der U17 des FC Augsburg zum Profi heranreifte. Sein Weg als Spieler f\u00fchrte ihn \u00fcber die Stuttgarter Kickers zum SSV Ulm, der damals unter Ralf Rangnick, 65, furios in die Bundesliga durchmarschierte. Tuchel sollte dies als Spieler jedoch nicht miterleben: In der Zweitliga-Saison 1998 beendete ein Knorpelschaden im Knie j\u00e4h das Ende seiner aktiven Karriere. So kam es, dass er schon fr\u00fch ins Trainergesch\u00e4ft einstieg und \u00fcber die Jugendmannschaften des VfB Stuttgart, FC Augsburg und schlie\u00dflich FSV Mainz 2009 seinen Weg in die Bundesliga fand.<\/p>\n
Dort, im Profigesch\u00e4ft, eilen Thomas Tuchel mittlerweile zwei Rufe voraus: Einerseits ist er ein von Details besessener Vollprofi, dem das Beste gerade gut genug ist. Andererseits soll er einen schwierigen Charakter haben, zumindest scheut er die Konflikte mit seinem Sportdirektoren und anderen Vorgesetzten in aller Regel nicht. Wohl nicht zuletzt aufgrund dieser Eigenschaft hielten Oliver Kahn, 54, und Hasan Salihamidzic, 46, ihn f\u00fcr besonders geeignet, um sich im M\u00fcnchener "Mia san Mia"-Ensemble gut zurecht zu finden, als sie Tuchel das Angebot unterbreiteten, Bayerns n\u00e4chster Trainer zu werden.<\/p>\n
Daf\u00fcr setzte man sogar kurzerhand den amtierenden Trainer Julian Nagelsmann, 36, vor die T\u00fcr, obwohl dieser zum damaligen Zeitpunkt im Viertelfinale der Champions League, dem Halbfinale des DFB-Pokals und auf Platz eins der Bundesliga stand. Der Glaube an die Kompatibilit\u00e4t war gro\u00df, wohl auch vonseiten Tuchels, dem es laut eigener Aussage wichtig war, vor seinem Antritt bei Deutschlands gr\u00f6\u00dftem Fu\u00dfballclub mit Bayerns \u00dcbervater Uli Hoene\u00df, 71, zu sprechen. "Gut auf seinen Verein aufpassen" wolle Tuchel und den hohen Anspr\u00fcchen gerecht werden, die in M\u00fcnchen herrschen.<\/p>\n
Diese h\u00f6chsten aller Anspr\u00fcche sind f\u00fcr Tuchel nichts Neues, schlie\u00dflich formuliert er sie immer wieder selbst: Zwischen 2009 und 2014 profitierte Mainz 05 von Tuchels fu\u00dfballerischem Ansatz, als er den Aufsteiger mit sehenswertem Tempofu\u00dfball in der Bundesliga etablierte. In der Saison 2010\/11 stellte man sogar den damaligen Bundesliga-Rekord von sieben Auftaktsiegen in Serie ein, der Erfolg gab Tuchel Recht. Bis 2014 sa\u00df er auf der Mainzer Bank, ehe er ein Sabbatjahr einlegte. Vielen erschien damals nur folgerichtig, dass sein n\u00e4chstes Engagement bei Borussia Dortmund war – er folgte damit den Fu\u00dfstapfen von J\u00fcrgen Klopp, 56, der ebenfalls den Weg von Mainz zum BVB gegangen war.<\/p>\n
Doch Tuchel war in Dortmund nicht der gleiche m\u00e4rchenhafte Ruhm beschieden wie seinem Vorg\u00e4nger. Nachdem er zur Saison 2015\/16 seine Stelle antrat, war im Mai 2017 schon wieder Schluss – erneut ein Jahr vor Vertragsende. Trotz der sportlich erfolgreichen Arbeit (direkte Qualifikation zur Champions League und Sieg im DFB-Pokal) habe man sich zu sehr "aneinander aufgerieben", wie es damals in einem bemerkenswert offenen Statement der Clubf\u00fchrung zur Entlassung ihres Cheftrainers hie\u00df. F\u00fcr Tuchel folgte ein erneutes Sabbatjahr, ehe er seinem wohl bislang gr\u00f6\u00dften Engagement zusagte.<\/p>\n
Zur Saison 2018\/19 \u00fcbernahm Tuchel als Cheftrainer das Ruder beim franz\u00f6sischen Meister Paris St. Germain. Erneut feierte er vom Fleck weg zahlreiche Erfolge mit seiner Mannschaft, darunter seinen ersten nationalen Meistertitel sowie den Gewinn der franz\u00f6sischen Pokalwettbewerbe. Weil ihm jedoch auf internationaler B\u00fchne, selbst mit der Verpflichtung von Lionel Messi, 36, nicht mehr als das Erreichen des Champions-League-Finals 2020 gl\u00fcckte, wurde Tuchel auch in Paris vorzeitig entlassen. Schuld daran habe, so berichteten damals viele franz\u00f6sische Medien, das zerr\u00fcttete Verh\u00e4ltnis mit Sportdirektor Leonardo, 53, gehabt. In einem damals viel beachteten und inzwischen wieder gel\u00f6schten Interview mit Sender Sport1 beklagte Tuchel, dass die Verantwortlichen in Paris die gute Arbeit der Mannschaft nicht wertsch\u00e4tzen, solange man nicht die Champions League gewinne. Sein Job f\u00fchle sich mehr an wie der eines "Sportpolitikers" als eines Trainers.<\/p>\n
Neue Angebote lie\u00dfen allerdings nicht lange auf sich warten und nur rund einen Monat sp\u00e4ter wurde Tuchel als neuer Cheftrainer des FC Chelsea vorgestellt, der Londoner Club stand damals nach 19 Spieltagen lediglich auf Platz neun der Premier League. Tuchel f\u00fchrte die Blues auf Platz vier, ins Finale des FA Cups und holte v\u00f6llig sensationell den Titel in der Champions League. \u00dcberhaupt war Tuchels Quote bei Chelsea bestechend: Von 100 Partien gewann seine Mannschaft 60, nur 19 Spiele gingen verloren. Nur die Chelsea-Trainer Maurizio Sarri, 64, und Antonio Conte, 54, hatten seit 2009 einen besseren Schnitt. Dennoch wurde Tuchel im September 2021 nach einer 0:1-Niederlage gegen Dinamo Zagreb am ersten Spieltag der Champions League 2021\/22 freigestellt. Der Grund? Es soll zu massiven Differenzen zwischen dem neuen Clubeigner Todd Boehly, 49, und Tuchel gekommen sein.<\/p>\n
Seither wollten Tuchel und sein Trainerstab eigentlich eine erneute l\u00e4ngere Auszeit nehmen, um sich auf das n\u00e4chste gro\u00dfe Engagement vorzubereiten. Die Tottenham Hotspur galten vor seiner Unterschrift in M\u00fcnchen als der hei\u00dfeste Kandidat f\u00fcr ein Engagement zur Saison 2023\/24. Doch dann kam, v\u00f6llig \u00fcberraschend, der Anruf von Kahn und Salihamidzic. Der Rest ist inzwischen Geschichte, inklusive dem verkorksten Einstand, bei dem Ende letzter Saison nur einer von drei Titeln nach M\u00fcnchen ging.<\/p>\n
Wie so h\u00e4ufig beim FC Bayern ist der Trainer von den Ergebnissen abh\u00e4ngig, die seine Mannschaft liefert – im Falle Nagelsmann war sogar zu sehen, dass selbst diese manchmal nicht reichen. So d\u00fcrfte f\u00fcr Tuchel der Druck aktuell hoch und der Fokus nicht unbedingt auf seinem runden Geburtstag sein. Dank des 3:1-Derbysiegs gegen den FC Augsburg am Wochenende ist der Auftakt in die neue Saison aber immerhin gegl\u00fcckt. So bietet sich dem sonst abstinenten Coach vielleicht ja doch eine Gelegenheit, in aller Ruhe mit einem Glas Champagner auf seinen 50. Geburtstag anzusto\u00dfen.<\/p>\n