Experten-Interview: Wer für den Orgasmus der Frau verantwortlich ist
Aus psychologischer Sicht ist Sex genauso ein Grundbedürfnis wie Essen. Verhaltenstherapeutin Nicole Engel fragt sich daher immer wieder, wieso wir nicht offener über das Liebesspiel und die eigenen Vorlieben sprechen – besonders mit dem eigenen Partner. Stattdessen werden in deutschen Betten regelmäßig Orgasmen vorgetäuscht und die fehlende Lust mit Kopfschmerzen begründet. Im GALA-Interview erklärt die Expertin die Grundlagen für ein erfüllendes Liebesleben.
Berührungen und Kommunikation sind untrennbar
Nicole Engel ist Verhaltenstherapeutin mit einem sexualtherapeutischen Schwerpunkt.
Nicole Engel ist Verhaltenstherapeutin mit einem sexualtherapeutischen Schwerpunkt.
GALA: Früher sollte eine Frau nicht unbedingt Spaß an Sex haben, heute wird sie von „Sex Positivity“-Bewegungen förmlich dazu gezwungen. Wer ist in einer Partnerschaft für den Orgasmus der Frau verantwortlich?
Nicole Engel: Die Frau ist Hauptverantwortliche. Ich würde aber sagen, dass die meisten so leider noch nicht denken. Viele sind noch der Ansicht, dass der Mann dafür verantwortlich ist, ob sie kommt. Aber dem ist nicht so. Die Frau ist in der Verantwortung ihre Vorlieben zu kennen und auch zu kommunizieren.
Und dennoch geben 70 Prozent in einer aktuellen Umfrage an, schon Mal einen Orgasmus vorgetäuscht zu haben. Warum ist die Schauspielerei bei Frauen noch immer so beliebt, wenn sie eigentlich nichts davon hat?
Es ist ein sehr schambehaftetes Thema, weil die Frau denkt, dass sie nicht funktioniert. Damit geht der Leistungsdruck einher: ‚Wir haben Sex, ich müsste jetzt also kommen.‘ Eine andere Möglichkeit ist, dass die Frau Stress vermeiden will, denn dann müsste sie die Situation erklären und ins Gespräch gehen.
Und das Vortäuschen des Orgasmus ist fatal, denn der Mann bekommt den Eindruck, die richtigen Knöpfe bei der Frau zu drücken.
Genau und dadurch entsteht ein Teufelskreis. Im Idealfall spricht die Frau es am Anfang an und legt damit einen guten Grundstein für die Zukunft der Beziehung. Ich rate Paaren zu festen Verabredungen in zweierlei Hinsicht: Kommunikation und Berührung.
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Dem Partner sexuelle Wünsche erklären
Was ist zu beachten, wenn ein Paar ein intimes Gespräch über die sexuellen Vorlieben führt?
Frau und Mann müssen sich erstmal bewusst sein, was ihnen sexuell gefällt. Körperstellen, Druck, Bewegung und vielleicht eine bestimmte Umgebung wie Musik, Düfte oder der Küchentisch. Dann helfen Formulierungen wie ‚Ich kann mich gerade nicht richtig gehenlassen. Vielleicht hilfst du mir dabei und wir probieren mal das und das aus…‘. Es darf nicht wie ein Vorwurf klingen. Oft helfen auch kleine Gesten, wie seine Hand genau dort hinzulegen, wo die Frau sie braucht.
Die eigenen Bedürfnisse kennenzulernen kann eine lebenslange Mission sein. Sollten Themen wie Selbstbefriedigung und Stimulation des Partners schon in der Schule gelehrt werden?
Auf jeden Fall. In der Schule wird häufig nur gelehrt, dass, wenn der Mann kommt, der Sex für ihn wohl gut war. Aber über die erogenen Zonen der Frau wird kaum gesprochen. Ich würde es gut finden, wenn diese Einheiten von Psychologen oder Sexualtherapeuten durchgeführt werden. Zuerst sollten Jungs und Mädchen getrennt voneinander zu den Themen unterrichtet werden, damit sie auch wirklich offen sprechen. Und erst im zweiten Schritt werden Jungs und Mädchen gemeinsam geschult. Der Austausch über Sex sollte in unserer Gesellschaft derselbe sein wie über Rezepte.
Sex muss nicht auf Anhieb funktionieren.
Sextoys als Erweiterung des Liebesleben
Der „We-Vibe-Sync“ ist der perfekte Paarvibrator. Er stimuliert G-Punkt und Klitoris und kann vom Partner sogar mit der Fernbedienung gesteuert werden. Getreu dem Motto: Share the Vibe!
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Sie haben zuletzt auf dem Wanderlust Festival in Berlin einen Vortrag über Paarvibratoren gehalten. Inwiefern tragen Sextoys etwas Positives oder auch etwas Negatives zu einer Beziehung bei?
Also ich sage mal, dass nichts gegen die gängigen Sextoys spricht, wobei es auch eine Interessenfrage ist. Bei den meisten Menschen beobachte ich Unwissenheit. Die wenigsten wissen, wie viel im weiblichen Genitalbereich schlummert. Unsere Hände benutzen wir zum Beispiel seit wir Kinder sind. Sie ist mit Nervenzellen ausgestattet und weil wir sie ständig benutzen, sind sie auch hochsensibel. Alles im Inneren des Genitalbereichs hingegen wird kaum stimuliert. 60 Prozent der Frauen können durch reine Penetration überhaupt nicht viel Lust empfinden. Wir müssen diese Nervenzellen also trainieren. Hier bietet sich Masturbation an oder auch das gemeinsame Erkunden mit dem Partner. Sextoys können dazu beitragen, dass erstmal alles wachgemacht wird.
Wie reagieren Männern auf Paarvibratoren?
Tatsächlich reagieren sie im Durchschnitt positiv. Sie werden ja nicht ersetzt, sondern stellen fest, dass der Sex dadurch sogar gefördert wird. Es sollte natürlich nicht so formuliert werden, dass sie den Vibrator braucht, weil er es sonst nicht bringt. Für ein Paar kann der Sex durch Toys wieder aufregend sein. Wichtig ist der Gedanke, dass es nicht auf Anhieb funktionieren muss.
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Wenn sich die sexuellen Vorlieben zu sehr unterscheiden
Was ist denn, wenn ein Paar offen über sexuelle Vorlieben spricht und es feststellt, dass die Wünsche zu weit auseinandergehen?
Dann gilt es Kompromisse zu finden. Dabei ist es wichtig, dass Paare wertfrei in die Kommunikation gehen. Nur weil ich was nicht mag, darf ich meinen Partner für seine sexuellen Fantasien nicht verurteilen.
Gerade bei Jüngeren kommt dann die Frage auf, ob wir überhaupt monogam leben müssen. Wann ist es eine Lösung, die sexuellen Fantasien außerhalb der festen Beziehung zu leben?
Ich forsche nicht, sondern kann nur aus meiner Erfahrung in der Praxis sprechen. Dabei stelle ich fest, dass eine offene Beziehung funktionieren kann. Viele Paare bekommen es aber langfristig nicht hin. Meist stimmt etwas in der Paardynamik nicht, wenn sich der Partner nach etwas anderem sehnt. Was dahingegen gut funktioniert, ist das gemeinsame Erweitern der Beziehung. Zum Beispiel durch einen Dreier unter den jeweiligen Bedingungen. Dabei ist aber wichtig, dass die Rahmenbedingungen vorher kommuniziert werden.
Verona Pooth
"Ab 40 wird der Sex besser"
Raten Sie Paaren auch manchmal zu einer Sexpause?
Wenn das Paar einen Konflikt hat und eigentlich miteinander sprechen müsste, aber versucht alles über Sex zu regulieren, nennt man das im Psychologischen dysfunktional. In solchen Fällen rate ich zu einer Sexpause.
Meine letzte Frage wird immer heiß diskutiert: Wie viel Sex braucht eine Beziehung überhaupt?
Die Frage lautet anders gesagt: Wie viel ist normal? Aber was ist bitte normal? Es ist viel wichtiger, dass ein Paar bei sich bleibt und die eigenen Bedürfnisse definiert. Sind wir zufrieden mit unserem Sexleben? Paare sollten sich diese Frage stellen und aufhören irgendwelchen Studiendaten nachzueifern.
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